Sonnenfinsternis

Die Botschaft der Navajo: Bleibt heute still, meditiert über euer Leben, darüber, wie ihr Erfüllung und Sinn finden könnt. Habt Glauben, Vertrauen, Freude, Hoffnung und lebt in Frieden.

Meine Begegnungen mit Bruder Klaus

und Text: Petra Dobrovolny

Ein Ausflug in das „Vieux Pays“

www.bruderklaus.com

Foto mit Blick ins Rhonetal

und Text: Petra Dobrovolny

Mit himmlischen und irdischen Klängen in das neue Jahr

Foto und Text: Petra Dobrovolny

21.12.23 Wintersonnenwende

Wie die Zeiten sich ändern oder auch nicht

Das kann an’s Auge gehen …

Text: Petra Dobrovolny

Fussnote:
Am 10. Dezember d.J. gab die deutsche Partei «die Basis» zum Tag der Menschenrechte eine Pressekonferenz in Karlsruhe. Hier berichtete der Rechtsanwalt Ralf Ludwig, dass er in Deutschland Strafanzeige gegen die Verantwortlichen eingereicht hat mit dem Ziel bis vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu gehen. Hier der Link zu seiner Rede, die etwa 8 Minuten dauert:

17.12.2023 Dritter Advent und ein Rückblick

Foto und Text: Petra Dobrovolny

Dokumente aus dem Jahr 1977 und die Erinnerung an einen juristischen Schutzengel

Kennt Ihr das auch? Ihr sucht ein Dokument tief unten in einer alten Schachtel. Zum Vorschein kommt ein anderes. So erging es mir vor ein paar Tagen. Mein Fund veranlasste mich zu einer Reise in vergangene Zeiten. Das Dokument, welches bei meiner Suche zum Vorschein kam, ist eine Verfügung der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 6. Juni 1977. Sie stützt sich auf das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (!) und ist eine Antwort auf meine insgesamt drei Gesuche um die Verlängerung der Gültigkeit meiner Aufenthaltsbewilligung, um die Bewilligung zum Stellenantritt als Psychologin für neuropsychologische Therapie am Kantonsspital Zürich im Rahmen eines Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds sowie um eine Niederlassungsbewilligung im Kanton Zürich. Meine Gesuche werden alle abgelehnt, da ich ohne fremdenpolizeiliche Genehmigung meine Arbeitsstelle widerrechtlich bereits am 1.9.1976 angetreten hatte. «Zum Verlassen des zürcherischen Kantonsgebietes wird ihr (mir) eine Frist bis zum 10. Juli 1977 angesetzt.» Gemäss dem Bundesgesetz aus dem Jahre 1931 Artikel 17 Absatz 2, so wird in der Verfügung ausgeführt, zählt nicht, dass mein Ehemann für den Kanton St. Gallen eine Niederlassung und für den Kanton Zürich eine Nebenniederlassung hat. Es zählt ebenfalls nicht, dass ich weiterhin zwecks Doktorandenstudium an der Universität Zürich immatrikuliert bin.

Zur Erklärung für die Lesenden: Im Herbst 1970 hatte ich nach meinem Abitur an der Europa-Schule in Luxemburg meinen Wohnsitz zwecks Studiums in die Schweiz verlegt. Somit stand ich unter Aufsicht der kantonalen Fremdenpolizei. Gemäss unserer Kenntnis der Bestimmungen hätte ich gesetzlich ein Anrecht auf eine Niederlassung in der Schweiz gehabt, falls ich entweder einen Schweizer oder einen «Niederlasser» heirate, d.h. einen Ausländer, der in der Schweiz wohnen und arbeiten darf. Als politischer Flüchtling nach der sowjetischen Invasion in die damalige Tschechoslowakei im Jahre 1968 hatte mein Georg gesetzlichen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung. Den Antrag auf einen Schweizer Pass konnte er erst nach 12 Jahren ununterbrochenem Wohnsitz in der Eidgenossenschaft stellen, wenn er noch dazu die letzten 3 Jahre dieser Zeit in derselben Wohngemeinde verbracht hatte. Doch das ist eine andere Geschichte.   

Mein Stellenantritt in Zürich per 1.9.1976 war uns seit Ende Juni 1976 bekannt. Im Juli schloss ich meine Lizentiatsprüfung in klinischer Psychologie ab. Im August wollten wir heiraten, auch damit meiner Arbeitsbewilligung nichts mehr im Wege stand. An Georgs Eltern, die in der Tschechoslowakei lebten, hatten wir schon längst die damals nötigen Antragsformulare für eine Ausreisegenehmigung zu unserer Hochzeit geschickt. Doch die kommunistischen Behörden zögerten die Bearbeitung mit schlussendlich einem negativen Entscheid lange hinaus. Einen Hochzeitstermin bekamen wir gerade doch noch für Ende September hin. Dies alles war der Fremdenpolizei äusserst verdächtig und sie vermuteten, dass ich mir mit grosser Raffinesse einen «Niederlasser» angeln wollte, um auf Kosten der Schweiz meine akademische Karriere fortzusetzen. Es musste sich um eine fingierte Heirat handeln, zumal ich mich «nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Ehemann aufhielt». Obwohl wir bereits ein halbes Jahr vor der Hochzeit in Zürich eine gemeinsame Wohnung hatten. Ausschlaggebend für die Zürcher Fremdenpolizei war Georgs Hauptwohnsitz im Kanton St. Gallen, für welchen er eine Niederlassungsbewilligung hatte. Seit April 1977, also noch vor der fremdenpolizeilichen Verfügung vom 7. Juni hatte Georg auf seinen Antrag hin eine Nebenniederlassungsbewilligung für den Kanton Zürich erhalten. Gemäss den Zürcher Behörden hätte ich, um die «Echtheit» unserer Eheschliessung zu beweisen, in St. Gallen bei meinem Ehemann wohnen, den gemeinsamen Haushalt besorgen müssen und die mir angebotene Stelle am Kantonsspital Zürich erst gar nicht annehmen dürfen.  

Immerhin wurde mir eine Frist von 20 Tagen genehmigt, um gegen die Verfügung beim Regierungsrat des Kantons Zürich Rekurs einzulegen. Mein Schreiben «muss einen begründeten Antrag erhalten. Verfügung und Beweismittel sind beizulegen oder genau zu bezeichnen.» Bereits seit Herbst 1976 hatte ich begonnen alle möglichen Formulare auszufüllen und einzureichen. Am 1. Februar 1977 hatte mich das Arbeitsamt des Kantons Zürich angerufen und mir mündlich mitgeteilt, dass ich keine Arbeitsbewilligung benötige, wenn ich eine Niederlassung hätte. Und falls ich noch an der Uni immatrikuliert sei, würde ich nicht das Kontingent für ausländische Arbeitskräfte belasten, sondern als Studentin gelten. Wahrscheinlich stimmt hier das Gesetz von 1931 nicht mehr mit den im Jahre 1977 praktizierten Bestimmungen für ausländische Arbeitnehmer überein. Oder das eine Amt weiss nicht, was das andere tut. Mein Chef, der Leiter des neuropsychologischen Laboratoriums, verstand als Schweizer die Welt nicht mehr. Er unterschrieb in mehreren Formularen die Erklärung, dass er über diese administrativen Schwierigkeiten vor meinem Stellenantritt nicht informiert worden war.

Wie schon oft in meinem Leben trat nun ein Schutzengel auf die Bühne, dieses Mal in Gestalt eines Zürcher Rechtsanwalts. Er wurde uns über einen lieben Freund vermittelt. Dieser Schutzengel rief am 21. Juni 1977, also noch rechtzeitig vor dem 10. Juli, an welchem ich spätestens das Zürcher Kantonsgebiet hätte verlassen müssen, kurzerhand den Chef der Zürcher Fremdenpolizei an und liess ihm anschliessend ein Protokoll dieses Telefonats per Einschreiben mit Kopie an Georgs St. Galler Adresse zukommen. Telefonisch hatte er dem Herrn Polizisten die «auf Missverständnissen beruhenden Differenzen zwischen dem Kanton Zürich und dem Kanton St. Gallen dargelegt.» In der Schlussfolgerung wird in bestem Einvernehmen beider Kantone die zürcherische Verfügung vom 6.6.1977 suspendiert. Das weitere vereinbarte Vorgehen: Georg werde in St. Gallen für mich eine Niederlassungsbewilligung, auf welche ich gesetzlichen Anspruch hätte (also doch!), beantragen. Sobald diese ausgestellt sei, was in wenigen Tagen passiere, werde Georg sich mit der Zürcher Fremdenpolizei in Verbindung setzen, um die weiteren zürcherischen Formalitäten für mich zu erledigen. Mein Schutzengel beendet den Brief so: «Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so entschlossen und rasch dazu beigetragen haben, die schon sehr verfahrene Situation einer glücklichen Lösung zuzuführen und verbleibe mit freundlichen Grüssen P.M.G. Man kann viel von Schutzengeln lernen. Nach 10 Monaten Hin und Her mit unzähligen eingeschriebenen und per express gesandten Briefen und Telefonaten fand diese «Causa» ein gutes Ende.

Ich hatte nie daran gezweifelt, denn ich wusste, dass ich im Recht war und sich die Missverständnisse irgendwie aufklären würden. Weder kündigte ich meine Arbeitsstelle noch unsere Wohnung, noch packte ich meine Sachen, um das Zürcher Kantonsgebiet vor dem 10. Juli 1977 zu verlassen.  Dank dieser glücklichen Wende konnten alle Beteiligten, vor allem mein Chef, erleichtert aufatmen. Für ihn hatte viel auf dem Spiel gestanden: Das Forschungsprojekt des schweizerischen Nationalfonds, dessen Leitung er innehatte, war vor meinem Stellenantritt bereits zwei Jahre lang ohne bauchbare Ergebnisse verlaufen. Nun lagen alle Hoffnungen auf mir, innerhalb der weiteren zwei Jahre eine neuropsychologische Therapie für hirnverletzte Patienten und Patientinnen zu erarbeiten, deren Erfolg sich einerseits in einer gelungenen Rehabilitation der Betroffenen in Alltag und Beruf zeigte und andererseits wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Für die Betroffenen stand noch viel mehr auf dem Spiel als für meinen Chef: Viele wurden damals in einer psychiatrischen Klinik versorgt oder sie verkümmerten als Folge einer fehlenden passenden Therapie nter der Obhut von sich aufopfernden Angehörigen. Es gelang mir, die neuropsychologische Therapie als wichtigsten Baustein der Rehabilitation zu erforschen und schweizweit bekannt zu machen. «Neuro-Rehabilitation» war kein Fremdwort mehr. Das diskriminierende Menschenbild, welches auch in der Fachwelt verbreitet war, wandelte sich. Meine Dissertation über Betroffene, die als Erwachsenen plötzlich eine Hirnverletzung erleben, fand grossen Anklang. Die damals neu entstandenen regionalen Selbsthilfegruppen von Betroffenen und deren Angehörigen sowie Arbeitgebende und Vorgesetzten gaben mir zahlreiche positive Rückmeldungen und dankten mir dafür, dass meine Arbeit zu einem besseren Verständnis dieser Mitmenschen verholfen hatte.

Vor etwa vier Jahren hörte ich zufälligerweise in den Mittagsnachrichten folgende Meldung: Die Schweiz hätte sich entschieden einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Personen aus dem Ausland, die hier ein Studium oder eine Fachausbildung abgeschlossen hätten, erhielten ab sofort eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung auch ohne einen Schweizer oder eine Schweizerin oder jemanden mit einer Niederlassungsbewilligung heiraten zu müssen.

Die Dokumente aus dem Jahre 1977 kann ich nun als Altpapier entsorgen. Meinem damaligen Schutzengel, der mir nie eine Rechnung geschrieben hat, danke ich noch einmal in der Form eines Gebets. Bestimmt hat er eine «himmlische Karriere» gemacht, wandelt jetzt unsichtbar auf dieser Erde und bewirkt zur Verwunderung der Menschen unerklärbare glückliche Wendungen. Ruft ihn herbei, wenn ihr in Not seid!

Foto: Sonne über Leukerbad

und Text: Petra Dobrovolny-Mühlenbach 

Meine Klangmeditation am 11. August

Am 11. August findet wie jeden 2. Freitag im Monat meine Klangmeditation in der Kirche in Leukerbad statt. Beim Eingang spricht mich eine Dame aus Lausanne an: «Sind Sie diejenige, die hier Klangmeditationen geben?» Ich bejahe. «Dann habe ich Sie vorgestern schon gesehen und gehört! O, wissen Sie, Ihre Klänge rufen so starke Emotionen hervor! Wunderbar! Darum bin ich jetzt nochmal gekommen. Und mein Mann kommt auch, aber etwas später. Er ist gerade noch in der Klinik in einer Therapie.» Während ich meine Kristallinstrumente auf dem kleinen Altar der Seitenkapelle bereitlege und eine Kerze anzünde, finden sich etwa 27 Personen ein. Wie bisher besteht mein Publikum zu 90% aus Frauen. Einige davon bringen ihre Ehepartner mit. Heute sind auch Zuhörende dabei, die gewohnt sind zu meditieren. Sie setzen beide Füsse auf den Boden, legen die Hände wie zwei Schalen mit den Handinnenflächen nach oben auf die Oberschenkel, sitzen gut aufgerichtet da und schliessen die meiste Zeit über die Augen. Beim Warten auf den 17-Uhr-Glockenschlag stimme ich mein Publikum bereits leise auf die Klänge meiner drei Kristallschalen und der Kristall-Lyra. Zufälligerweise harmonisieren die Klangschalen mit den Kirchenglocken. Während 45 Minuten geniessen die Zuhörenden das Klangbad. Nach 10 Minuten sehe ich, dass viele gähnen. Dies verstehe ich als ein Zeichen der Entspannung. Nach weiteren 10 Minuten beginnen Tränen zu fliessen. Mein «Dona nobis pacem» und «Ave Maria» berühren die Herzen. Heute betet ein Besucher in der hintere Stuhlreihe kniend und sehr andächtig mit. Auch weint er dabei. Männer schämen sich ihrer Tränen und möchten schon gar nicht, dass jemand sie sieht. Deswegen verlässt dieser Mann 10 Minuten vor Schluss der Vorstellung die Kirche, um allein zu sein. In Gedanken schicke ich ihm einen tröstenden Engel. Einige neugierige Besuchende, die auf ihrem Weg ins Restaurant an der Kirche vorbeikommen, schauen auch dieses Mal wieder herein, wollen sich zwar nicht setzen, hören heute aber länger zu als sonst. Mein Georg sorgt als Türsteher jedes Mal dafür, dass die renovationsbedürftige Kirchentüre nicht laut geöffnet und geschlossen wird. Besonders dieses Mal inspiriert mich die dichte Konzentration und Andacht des Publikums so, dass ich die Klänge und lateinischen Gesänge mit Passagen von Obertönen in voller Hingabe gestalten kann. Die Glocken verkünden mit dem ¾ – Schlag das Ende der Veranstaltung, ich schliesse ab mit «Andate in pacem» und «Amen». Das Publikum klatscht leise und dankbar Beifall, das Körbchen für die Kollekte, die für ein Projekt für kriegstraumatisierte Menschen bestimmt ist, wandert von Hand zu Hand. Zwei Besucherinnen aus Amsterdam und eine weitere aus Fribourg bedanken sich noch persönlich bei mir. Letztere möchte noch wissen, aus welchem Material meine Schlägel seien. Ich antworte: «Aus Silikon.» Sie kann nicht glauben, dass man mit Silikon solche erstaunlichen Klänge hervorbringen kann und schaut mit suchendem Blick in die Umgebung in der Erwartung noch Lautsprecher oder sonstige technische Einrichtungen zu entdecken. Ob ich denn wirklich keine Hintergrundmusik laufen liesse, will sie wissen. Ich verneine. Das sei unglaublich, «incroyable», meint die Dame aus Fribourg und verlässt die Kirche um ein Hörerlebnis reicher. Mit einem Glas Walliser Weisswein in der benachbarten Bar schliessen Georg und ich den Abend ab, dankbar für das Publikum, welches ich heute mit meinen Klängen beglücken durfte.  

Foto: Meine Kristallinstrumente auf dem Altar der Seitenkapelle der Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen, in Leukerbad

und Text: Petra Dobrovolny     

Ein Alpgottesdienst auf 2070 ü .d. M.

In der Umgebung von Leukerbad gibt es zahlreiche Kapellen, in oder bei denen einmal im Sommer ein Gottesdienst abgehalten wird. Am 3. Sonntag im Juli ist die Kapelle «Maria Sieben Schmerzen» an der Reihe. Anschliessend findet ein Fest auf der 10 Minuten entfernt gelegenen und bewirtschafteten Flüealp auf 2039 ü.d.M. statt.

Zufälligerweise verbringen die Kühe der uns aus Bremgarten bei Bern bekannten Bauernfamilie Hadorn dort jeden Sommer. Auf über 2000 Meter Höhe finden sie saftige Wiesen mit Bergkräutern, gutes Wasser und saubere Luft. Aus ihrer Milch wird noch auf der Alp Käse hergestellt, der als «Alpkäse von den eigenen Kühen» unten «im Flachland» im Hofladen sehr erfolgreich verkauft wird. Diesen leckeren Käse kennen wir bereits. Doch hat mein Lebenspartner Georg erst vor kurzem von Martin Hadorn erfahren, dass sich die Alp, wohin er seine Kühe in Kur schickt, oberhalb von Leukerbad befindet. Zufälligerweise heisst die Pächterin ebenfalls Petra, so wie ich. Georg staunt und erzählt mir diese Neuigkeit sofort per Telefon. Diese Petra habe ich vor zwei Jahren hier in Leukerbad als Chefin der «alten Molkeri» kennengelernt. Sie hat vor ein paar Jahren ihr Düsseldorfer Stadtleben gegen das Walliser Bergleben eingetauscht. Die Liebe hatte wohl kräftig mitgeholfen. Der Käse von der Alp schmeckt wunderbar, besonders derjenige mit Bärlauch. Bei meinem Einkauf im Juni frage ich Petra, wann sie wieder mit den Kühen auf der Alp sei, denn ich wolle endlich mal vorbeikommen. Sie empfiehlt mir das Fest vom 23. Juli, falls das Wetter mitmache. Es gäbe auch ein Alpentaxi.

Die Aussicht auf einen solchen Ausflug gefällt mir. Schliesslich verbringe ich bereits den dritten Sommer in Leukerbad und im hinteren Dala-Tal war ich noch nicht. Im Winter ist der Weg lange Zeit wegen Lawinengefahr gesperrt. Im Pfarrblatt ist bei der Kapelle um 11 Uhr ein Gottesdienst angekündigt. Ich finde, das ist DIE Gelegenheit. Vielleicht kann ich mit dem Alpentaxi oder mit sonst jemandem mitfahren oder mitwandern. Auf dem Weg wäre ich jedenfalls nicht allein, denn dieser Anlass ist sehr begehrt. Ich weiss, dass es gefährlich ist, allein auf einsamen Wegen in den Bergen unterwegs zu sein.

Der Sonntagmorgen verspricht den prächtigsten Tag der Woche. Der Himmel ist wolkenlos, Gewitter werden erst in der folgenden Nacht erwartet. Um 8.40 Uhr nehme ich den Weg unter meine Wanderschuhe und -stöcke. Ich wähle die Forststrasse, die im Winter den vom Torrent kommenden Skifahrenden als Abfahrtspiste dient. Teilweise führt sie durch einen Fichten- und Lärchenwald. Ein Höhenunterschied von 600 m liegt vor mir, die Temperatur beträgt etwa 15° C und wird heute kaum über 23° C steigen. Die fast unberührte Natur – wenn da nicht die orangen Sicherheitsnetze aus Plastik für die Skipiste wären – erwacht an diesem Morgen in ihrer ganzen Pracht wie in den ersten Schöpfungstagen. So empfand es Rainer Maria Rilke, der von der Walliser Landschaft so fasziniert war, dass er sich vor etwas mehr als 100 Jahren bei Siders im Château de Muzot niederliess.

Ein sehr schneller Wanderer überholt mich, sonst begegnet mir niemand. Wahrscheinlich bin ich etwas zu spät unterwegs. Meiner Berechnung nach sollte ich um 11.10 Uhr bei der Flüekapelle ankommen. Nach einer Stunde erreiche ich die erste Alp mit vier unbewohnten Hütten: Folljeret genannt, auf 1773 ü.d.M. Oberhalb meines Wegs sehe ich plötzlich drei vorbeifahrende PKWs und denke: «Oh, da habe ich jetzt eine Mitfahrgelegenheit verpasst.» Doch es ist noch nicht 10 Uhr, zeit- und kraftmässig habe ich noch einen guten Vorrat. Ich verlasse den Forstweg, um links abzubiegen, und setze meinen Weg auf der asphaltierten Strasse, die zur Flüealp führt, fort. Ab und zu fährt ein Mountainbiker an mir vorbei. Bald erreiche ich die bewohnte Majingalp auf 1933 ü.d.M. staune über die im Freien weidenden Schweine und Ziegen. Die Tiere sehen sehr gepflegt aus. So saubere und schlanke Schweine habe ich noch nie gesehen. Eine Tafel informiert über das Angebot: Man kann Fleisch und Käse kaufen, auch Kleinigkeiten essen und etwas trinken. Auf dem Rückweg werde ich dort einkehren. Jetzt muss ich weiter, denn die Zeit drängt. Auf dieser Höhe erscheint die mächtige Felswand auf der anderen Seite, von der Gemmi her, viel näher als von unten von Leukerbad auf 1411 ü.d.M. aus. Mein Handy klingelt, Georg meldet sich. Er freut sich, dass ich wohlauf und fit bin. Plötzlich reisst die Verbindung ab, gerade habe ich ein Gebiet ohne Funkverbindung betreten. Hinter mir höre ich das Alpentaxi. Auf mein Zeichen hin hält der Fahrer an. Nein, er könne mich nicht mitnehmen, es gäbe keinen Platz mehr. Pech gehabt! Doch die letzte halbe Stunde des Wegs schaffe ich auch noch zu Fuss. Ein Wegweiser kündigt mir an, dass sich die Flüealp nur noch 10 und die Flüekapelle 20 Minuten entfernt sind. Oben am Berghang in etwa 100m Entfernung entdecke ich die gemütlich weidenden einheimischen und Bremgartner Kühe der Rasse «Simmentaler Fleckvieh». Nach einer weiteren Kurve taucht endlich das Dach der Kuhställe auf. Klänge von beschwingter Alpmusik dringen an mein Ohr. Vor drei Alphütten warten Bänke, Tische und Sonnenschirme auf Gäste. Ohne Halt setze ich meinen gemäss Wegweiser noch 10-minütigen Weg zur Kapelle fort. Es ist bereits 11 Uhr, der Gottesdienst hat soeben begonnen. Aber wo? Ich halte Ausschau nach einer freistehenden Kapelle mit einem Türmchen, so wie man sich eben eine klassische Kapelle vorstellt. Von einem solchen Gebäude ist jedoch weit und breit nichts zu sehen. Das Foto der Kapelle im Prospekt ist mir nicht mehr präsent. Sonst hätte ich gewusst, dass sie gar keinen Turm hat, sondern unter einen Felsvorsprung gebaut wurde. Nach 5 Minuten verkündet ein weiterer Wegweiser noch einmal 10 Minuten bis zur Flüekapelle an. Nun bin ich nicht nur jenseits des Internets, sondern auch jenseits der Zeit unterwegs. Vor mir liegen kleine Hügel mit grünen Alpweiden, weiter oben Schneefelder und nackte Felsen. In weiterer Ferne der Gitzifurka-Pass und die Bergkette mit dem spitzen Majinghorn. Hinter mir ist eine Gruppe Biker wegen des schmalen Weges von ihrem Gefährt abgestiegen. Auch sie scheinen etwas zu suchen. Der Chef wendet sich höflich an mich mit der Frage, ob er mich etwas fragen dürfe. So als sei ich die grösste Expertin für die Wege hier im «letzten Winkel der Welt». Die Sportler suchen zum Glück nicht auch nach der von mir gesuchten Kapelle, sondern wollen wissen, ob dies der Weg zum Torrent sei. Der nächste Wegweiser zeigt jedoch einen alpinen Wanderweg zur Gitzifurka an, also weder einen Bike-Weg noch den Torrent als Ziel. Ich rate von diesem Weg ab. Sie sollten besser umkehren und nach einer Abzweigung mit dem Zeichen für Bikes und der Aufschrift «Torrent» Ausschau halten. Ja, es sei möglich von hier, also aus nördlicher Richtung auf den Torrent zu gelangen. Dankbar für meinen fachlich perfekten Rat – weit und breit ist auch niemand, den sie fragen könnten und Handys haben hier keinen Zugang zum Internet – ziehen sie in die Richtung von dannen, aus der sie gekommen sind.
 
Der Wind frischt auf, ich gehe weiter und sehe hinter der nächsten Erhöhung plötzlich eine kleine Hängebrücke, auf dem gegenüberliegenden Hügel etwa 80 Leute auf Bänken oder am Boden sitzend und andächtig einem weissgekleideten Mann, der vor einem kleinen Altar steht, zuhörend. Ein Bube reicht mir einen Zettel mit Kirchenliedern, damit ich dem Programm folgen kann. Ich setze mich auf die Wiese, nehme erst mal einen Schluck aus meiner Wasserflasche und eine Handvoll gerösteter salziger Sonnenblumenkerne aus der Ukraine, die mir unsere Nachbarinnen aus Mariupol geschenkt hatten. Erfrischt tauche ich ein in die gemeinsame Andacht und in die Magie des Ortes. Die Worte des Predigers – es ist der Organist Peter Heckel, der sonst an den Messen in und um Leukerbad die Orgel spielt – wechseln sich ab mit den Klängen einer Mundharmonika, bis schliesslich das «Vater unser» und der Segen den Gottesdienst beenden. Auch wenn der Wind Worte und Klänge durchweht, bewirkt dieses Erlebnis in mir einen unvergesslichen Eindruck. Ich spüre, wie alle Anwesenden betend, singend und lauschend zu einer Einheit mit Gott und der Natur verschmelzen. Wir werden zum Felsen, ziehen mit den Wolken vorbei, wiegen uns mit den Gräsern, … Auch wenn Gott allgegenwärtig ist, in den Bergen scheint er noch näher zu sein.
 
In der kleinen Kapelle «Maria Sieben Schmerzen» unter dem Felsvorsprung etwas unterhalb des für heute im Freien aufgestellten Altars hätten höchstens 20 Besuchende Platz gefunden. Eine Legende erzählt, dass Maria selbst diesen aussergewöhnlichen Ort gewählt habe. Im Prospekt «Kapellenweg» der Tourismusorganisation Leukerbad steht: «Die Legende will wissen, dass die Statue der schmerzhaften Muttergottes in einer Grotte etwas oberhalb der Flüealp gefunden wurde. Die Leute wollten ihr im Stafel der Flüealp einen Bildstock errichten. Nachdem sie zur Alp transportiert worden war, befand sie sich am nächsten Morgen wieder am ursprünglichen Fundort. Daraufhin wurde entschieden, Maria den Platz zuzuweisen, den sie sich selbst auserwählt hatte. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurde die Grotte zu einer Kapelle ausgebaut. Das Gnadenbild ist eine Pietà.» Als ich nach dem Gottesdienst die Kapelle besuche, bin ich überrascht über die lebensgrosse Darstellung der Muttergottes, die ihren verstorbenen Sohn in den Armen hält. Der Kerzenständer davor ist bereits vollends mit etwa 80 kleinen Kerzen in roten Plastikbechern gefüllt, sodass ich keine hinzufügen kann. Die drei kleinen Glasfenster zeigen Maria mit dem Jesuskind, einen Kelch und eine Hostie. Die weissen schmucklosen Wände erhellen den Innenraum. Ein schmaler Holzaltar steht vor der Pietà, ein paar wenige schlichte Holzbänke bieten müden Pilgernden einen Platz an. Ich bete für alle Mütter, die ihren Sohn in einem Krieg verloren haben und bitte Maria um Trost und Kraft für die Hinterbliebenen.

Gemeinsam mit den anderen mache ich mich zurück auf den Weg über die kleine Hängebrücke, blicke noch einmal nach hinten und fotografiere den schmalen Weg, der unterhalb der Kapelle an zwei Höhlen vorbei zur Dala führt. Ein mir unbekannter Herr macht mich in Zürcher Dialekt darauf aufmerksam, dass in der untersten Höhle eine Quelle mit heiligem Wasser entspringt, das die Heilung der Augen unterstützen soll. Ich bin sehr dankbar für diesen Hinweis. Woher wusste der Unbekannte von meiner Leidenschaft, Marienquellen ausfindig zu machen? Er fügt hinzu, man bräuchte eine gewisse Standfestigkeit, um das Wasser an dem steilen Abhang schöpfen zu können. Meine Standfestigkeit wird heute jedoch genügend auf die Probe gestellt, sodass ich mich damit begnüge, die Quelle von einer sicheren Entfernung aus zu fotografieren. Als ich später Georg davon erzähle, meint er, das Wasser der Heilquelle sollte doch sicher und ohne Unfallgefahr für alle zugänglich gemacht werden. Dafür könnte zum Beispiel die Thermalquellenzunft, bei der ich Mitglied bin, sorgen. Georgs Idee werde ich weitergeben.

Bald lädt der Duft von Raclette-Käse und Bratwurst uns ein auf den Holzbänken unter den hellblauen Sonnenschirmen Platz zu nehmen. Ich genehmige mir ein Bier, eine Portion Raclette und «Hörnli-Salat» (Teigwaren mit Tomatenstückchen und sauren Gürkchen an einer Salatsauce). Jemand bittet, die Musik aus den grossen Boxen leiser zu stellen. Feststimmung kommt auf, auch wenn die Gäste lange Schlange stehen müssen, um eine Bratwurst oder ein Raclette zu ergattern. Auch Wandernde, die nicht am Gottesdienst teilgenommen hatten, gesellen sich dazu. Die meisten stammen aus der näheren Umgebung und kennen sich. Der Organist Peter Heckel, mit dem ich im Oktober 2022 gemeinsam eine Messe in der Pfarreikirche Leukerbad musikalisch gestalten durfte, erzählt mir, dass er jedes Jahr diesen Gottesdienst leitet. Er macht dies mit grosser Freude, und ich bin dankbar, dass ich ihn heute dabei erleben durfte.

Ab 13 Uhr ist der Käseverkauf geöffnet. Petra erscheint. Sie staunt darüber, dass ich den Weg geschafft habe. Ich frage sie, ob sie dieselben Käsesorten auch in der «alten Molkerei» in Leukerbad verkaufe. Sie bejaht dies und versteht, dass ich jetzt nicht noch Käse in meinem Rucksack ins Tal transportieren möchte, zumal der Wind sich gelegt hat und die Sonne wieder ihr Bestes gibt. Auch wenn auf dem Programm steht, dass die Kühe um 16.30 Uhr beim Stall eintreffen werden, um gemolken zu werden, mache ich mich bereits um 13.10 Uhr auf den Rückweg. Ich möchte das Erlebte in Ruhe nachwirken lassen, die Stille der Berge geniessen und noch einen Tee bei der Majingalp. Dort wird es am 6. August auch ein Alpfest geben. Allerdings ohne Gottesdienst. Auf demselben Weg kehre ich zurück ins Tal. Es gäbe zwar eine Abkürzung durch den Majinggraben bis zum Majingsee, doch dieser Weg ist mir für heute zu steil und zu anstrengend. Vielleicht am 6. August?
Gegen 15.30 Uhr komme ich wieder wohlbehalten zuhause an, natürlich auch zu Georgs Freude. Er hatte schnell verstanden, dass der Mobilfunk hinter all den Bergen und Hügeln bald einmal unterbrochen war und sich keine Sorgen gemacht. Auf seine Frage, was mir dieser Ausflug gebracht habe, antworte ich: Eine Horizonterweiterung. Jetzt weiss ich, wie es im hinteren Dala-Tal oberhalb der Baumgrenze aussieht, wie eindrucksvoll es ist, wenn 80 Menschen gemeinsam unter freiem Himmel im «hintersten Winkel der Welt» das «Vater unser» beten. Wie eine Kapelle auch ohne Kirchturm wirken kann. Wie die Trauer der Muttergottes trösten kann und dass diese Erfahrung durch einen unbekannten Künstler genau am richtigen Ort möglich gemacht wurde. An einem Ort, an dem heiliges Wasser für die Augen entspringt.   

2 Fotos der Flüekapelle und Text: Petra Dobrovolny