Am Mittwoch, den 16. April, einen Tag vor Gründonnerstag, beginnt es am Nachmittag zu schneien. Ununterbrochen, 36 Stunden lang. Im Berner Oberland und im Wallis fallen 1 bis 2 Meter Schnee, auf unserer Terrasse etwa 120 cm. So viel wie noch nie innerhalb so kurzer Zeit. Viele Bäume fallen wegen der grossen Schneelast auf Strassen und Schienen. Auf der Strecke Lausanne – Brig – Domodossola ist der Zugverkehr unterbrochen. Schulen werden geschlossen. Die Bevölkerung wird gebeten, möglichst zuhause zu bleiben. Die Gemeinde Adelboden im Berner Oberland ist von der Umwelt abgeschnitten, auch die Dörfer im Mattertal. Dort liegt in St. Niklaus eine Frau seit Gründonnerstag in den Wehen. Ihr Kind hat sich diese Zeit, in der alles stillsteht, ausgesucht, um das Licht der Welt zu erblicken. Zum Glück gibt es eine Hebamme im Dorf, die sich durch den Schnee zur Gebärenden durchkämpfen kann. Der Kanton Wallis ruft für drei Tage die Gefahrenstufe 4 – von 5 – aus und bittet die anreisenden Feriengäste ihre Anfahrt um ein bis zwei Tage zu verschieben. In einigen Gemeinden fällt bis zu 40 Stunden der Strom aus. Bei mir in Leukerbad funktioniert alles, auch die Internetverbindung. Sicherheitshalber fülle ich drei Thermosflaschen mit heissem Wasser. Heute, am Gründonnerstag wollte Georg von Bern her anreisen, um gemeinsam mit mir Ostern zu feiern. Die Züge können noch nicht wieder durch den Lötschbergtunnel fahren. Jede Stunde hören wir Radio, um das Neuste über diese aussergewöhnliche Lage zu erfahren. Ich schicke Georg Fotos von unserer verschneiten Dachterrasse, wo sich der Schnee über ein Meter hoch türmt, meine Stiefmütterchen auf der Fensterbank jedoch verschont hat.
Am Karfreitag kann auch ich wieder aus dem Haus und ins Dorf gehen. Der Wind hat nachgelassen, die warme Frühlingssonne lassen den Schnee bereits schmelzen. Doch die weisse Pracht ist immer noch zu hoch. Überall wird auf Hochtouren geräumt. Aber es ist wegen der drohenden Überschwemmungsgefahr besser, dass die Niederschläge in der Form von Schnee kamen und nicht als Regen. In Norditalien und Südfrankreich reissen die Fluten bereits alles mit, was ihnen im Weg steht.
Am Karsamstag kann Georg endlich anreisen. Er freut sich, dass auch die Busfahrt von Leuk nach Leukerbad problemlos verlief. Sein Reiseabenteuer vom 23. Dezember ist ihm noch gut in Erinnerung. Am späten Nachmittag hatte ein heftiger Schneesturm eingesetzt. Der Bus musste nach etwa 10 Minuten Fahrt anhalten, weil ein Auto im Schnee stecken geblieben war. Die Weiterfahrt war erst in einer Stunde möglich. Der Buschauffeur Frank hielt die Passagiere bei guter Laune und sagte zum Beispiel, dass er Kaffee bestellt habe, jedoch nicht wisse, wann dieser käme. Alle waren natürlich erleichtert, als die Fahrt weiterging. Der Sturm wütete weiter, Schneepflüge konnten nur eine enge Gasse in der Strassenmitte freihalten. Entgegenkommende Fahrzeuge hatten Mühe, dem Bus auszuweichen. Etwa 200 Meter vor dem Ortseingang von Leukerbad gelang dies einer asiatischen Touristin nicht. Ihr Mietwagen vom Flughafen Genf hatte noch nicht einmal Winterreifen. In Panik gab die Chauffeurin nur noch Gas und schaufelte so immer mehr Schnee unter ihr Gefährt. Der Bus kam nicht immer noch nicht daran vorbei. Frank stieg aus, bat ein paar kräftige Passagiere mit anzufassen, um das Fahrzeug zu bewegen. Sie konnten das Auto jedoch nicht vom Schneesockel schieben. Auch mit einer Schaufel war nichts auszurichten. Ein mobiler Kran musste von der Polizei, die nicht gerade erfreut war, bestellt werden, um den Wagen vom Schneesockel zu heben. Georg überlegte bereits, ob er die restlichen 200 Meter bis zum Busbahnhof zu Fuss zurücklegen solle, doch der immer noch heftige Schneesturm hielt ihn davon ab. Inzwischen war es auch schon dunkel geworden. So harrte er eine weitere Stunde im inzwischen nicht mehr warmen Bus aus, bis der Kran das Hindernis beseitigen konnte. Ihr könnt euch die Erleichterung der Fahrgäste vorstellen, als der Bus endlich mit gut zwei Stunden Verspätung im Leukerbadner Busbahnhof ankam. Chauffeur Frank erhielt für die erfolgreiche und unfallfreie Bewältigung der schwierigen Situation, seine Geduld und seinen Humor von allen einen herzlichen Applaus und in einem Hut gesammeltes Trinkgeld.
Die einzige diensthabende Taxifahrerin hatte bereits eine volle Fuhre und versprach Georg in einer halben Stunde wiederzukommen. Er musste ihr dann den Weg bis zu unserem Haus zeigen, denn bei Schneegestöber und Nebel war die Strasse kaum sichtbar. Zweieinhalb Stunden später als geplant konnte ich meinen Georg in unserer warmen Stube willkommen heissen. Am nächsten Tag hatte sich der Schneesturm wieder beruhigt, die Sonne liess sich blicken und die vielen Skifahrenden freuten sich über die guten Pisten mit 50 cm Neuschnee. Über Weihnachten und Neujahr ist Hochsaison. Über die Ostertage wünschen sich die Leukerbadner Hotels auch viele Gäste, von denen viele in diesem Jahr nicht pünktlich anreisen konnten.
„Pünktlich“ am Ostermontag stirbt Papst Franziskus stirbt am Ostermontag. Am Ostersonntag konnte er noch mit letzter Kraft vom Balkon aus den Segen Urbi et Orbi erteilen. Der Zeitpunkt seines Todes ist Anlass für viele Spekulationen. Astrologiekundige deuten ihn als ein Zeichen dafür, dass für die katholische Kirche eine Ära zu Ende geht. Nicht mehr Hierarchie und Bürokratie werde in Zukunft die Kirche bestimmen, sondern Mitspracherecht und christliche Liebe.
Am Samstag nach Ostern findet in Rom die Beisetzung statt. Zu derselben Zeit läuten auch hier in Leukerbad die Sterbeglocken. Ein bekannter und beliebter Leukerbadner ist im Alter von fast 90 Jahren gestorben. Georg geht kurz vor Beginn der Trauerfeier an der Kirche vorbei. Dort warten drei Fahnenträger auf die Ankunft der Urne. Einer von Ihnen sagt zu Georg: „Unser Pfarrer kann jetzt nicht in Rom sein. Er hat hier zu tun. Ausserdem würde er sowieso nicht zum neuen Papst gewählt.“ Das ist Walliser Humor.
Text und Foto: Petra Dobrovolny