Kulturweg Dala – Raspille: Auf Goethes Spuren

Am 3. Juni 2023 wird der bereits bestehende und jetzt neu beschilderte Kulturweg von Leukerbad an der Dala nach Salgesch an der Raspille im Rhonetal mit einer Wanderung feierlich eingeweiht. Schon Mitte Mai hatte ich mich dazu angemeldet und freute mich sehr auf dieses für mich ungewöhnliche Abenteuer: Mindestens 15 km Fussweg mit einer Höhendifferenz von 800 m in Begleitung von 100 Mitwandernden stehen mir bevor. Die Teilnahme ist dank grosszügigem Sponsoring gratis, eine Spende der Wandernden für den zukünftigen Unterhalt des Kulturwegs ist jedoch willkommen. Der blaue Himmel verspricht den schönsten Tag der Woche, ab 11 Uhr sind jedoch Gewitter vorausgesagt. So packe ich Regenjacke und Knirps in meinen Rucksack, auch eine Thermosflasche mit Tee und einen Apfel. Für weiteres Proviant soll unterwegs dreimal gesorgt sein. Um 8 Uhr mache ich mich auf den Weg zur Sportarena von Leukerbad. Von hier aus sollen nach einem Café und Gipfeli die 100 Angemeldeten starten. Die Gemeindepräsidenten von Leukerbad und Salgesch sowie der Präsident der «DalaKoop», einer Kooperation für interkommunale Zusammenarbeit der Gemeinden Leukerbad, Inden, Varen und Salgesch, heben in ihren Reden die Bedeutung des Kulturwegs und dieses Events hervor. Der Pfarrer von Leukerbad, Frank Sommerhoff, spricht kurz über das Unterwegssein in Gottes Natur, die die Seele beim Wandern erfreue. Wegen des schlechten Mikrofons sind die Worte der Redner nur schlecht zu verstehen. In freudiger Erwartung begeben wir uns zum ersten neuen Wegweiser hinter der Sportarena und am Anfang des «Römerwegs». Der Pfarrer bittet die Erzengel und die Heiligen um Schutz für alle, die auf diesem Weg wandern werden, segnet das neue Schild mit Weihwasser, und meint sodann, es sei eigentlich wichtiger, die Wandernden zu segnen. So bekommen wir auch noch ein paar geweihte Wasserspritzer ab. Danach werden wir in drei Gruppen mit je einem Führer eingeteilt und machen uns gutgelaunt und erwartungsvoll auf den Weg. Nach ein paar hundert Metern hält unser Wanderleiter Anselmo Loretan kurz an, um uns etwas über die geologischen Verhältnisse des so reichlich fliessenden Thermalwassers von Leukerbad zu erklären. Regen- und Schneewasser sammelt sich oben im Wyss See neben dem Gipfel des Torrent in etwa 2300 m Höhe, sickert durch den Kalkstein in den Berg, fliesst bis zu 2500 m unter die Erde. Dort zirkuliert es 40 Jahre lang, nimmt verschiedene Mineralien und vor allem auch die Wärme der Erde auf, bis es in Quellen austritt und zu vier Hotels sowie zur «Therme Leukerbad» geleitet wird. Letztere wurde zunächst von zwei Quellen versorgt, bis nach dem Erdbeben im Jahre 1946 eine dritte hinzukam. Letzteres wusste ich bis jetzt nicht.
Weiter geht es in zügigem Tempo an einem grossen Keltenstein vorbei bis zum nächsten Dorf, Inden genannt. Pünktlich treffen wir zur Weisswein-Mehl-Suppe nicht jedermanns Geschmack – um 10.45 Uhr beim Dorfladen, dem ehemaligen kleinen Bahnhof der Zahnradbahn, die von 1915 bis 1967 von Susten im Tal bis nach Leukerbad fuhr. Damals baute man die Strasse aus und empfand die Bahn als Behinderung für den Autoverkehr. Heute wird die Entscheidung diese Bahn abzuschaffen, sehr bereut. Sie könnte auch heute mit erneuerbarem Strom aus Wasserkraft betrieben werden und wäre eine noch grössere Touristenattraktion als damals. Vielleicht kommt jemand mal auf die Idee eine Seilbahn von Susten nach Leukerbad zu bauen. Damit könnte auch der Transport der riesigen Abfallmenge, die die Tourist*innen hinterlassen, von «der Strasse auf das Seil» verlagert werden.

Aus einem riesigen Suppenkessel, der über einem Feuer hängt, wird jedem Gast Suppe in den Teller geschöpft. Auch reichlich Brot und Käse wird angeboten. Die bereitstehenden Holzbänke und -tische sind bald besetzt, nette Einwohnerinnen von Inden – Würde man sie als «Inderinnen» bezeichnen? – schenken emsig Walliser Johannisberg-Wein und Wasser ein. Nach einer dreiviertel Stunde ertönt ein Pfiff aus der Trillerpfeife unseres Wanderleiters Anselmo zum Aufbruch zur zweiten und anstrengendsten etwa 1 ¼ -stündigen Etappe hinunter nach Varen im Rhonetal. Der Weg führt hinter Inden an einem ehemaligen Kalkbrennofen und an weiter an sehr steilen Felswänden entlang. Gemäss Anweisung sollen wir zügig in einer Einerkolonne marschieren und nicht zum Fotografieren stehen bleiben. Steinschläge seien zwar selten, aber nicht auszuschliessen. In einer Kurve, hinter der der Weg die Dala-Schlucht verlässt, hält Anselmo im Schatten der Bäume an, um uns von Goethe zu erzählen, der vor 250 Jahren denselben Weg in Gegenrichtung gewandert war. Hier beim Bildstock mit der kleinen Marienfigur hatte er einen Halt eingelegt, um den Blick nach oben zum malerisch gelegenen Inden zu skizzieren. Eine Kopie dieser sehr gekonnten Skizze reicht Anselmo herum. Alle staunen, denn abgesehen von der Hochspannungsleitung und einem Baukran sieht diese Aussicht heute noch genau gleich aus wie damals. Es soll bekannt sein, dass Goethe die erste Nacht, die er in Leukerbad verbrachte, wegen der vielen Stechmücken kaum schlafen konnte. Heute würde dies nicht passieren, denn es gibt in dieser Höhe fast keine Stechmücken mehr.
Anselmo verspricht uns einen gemütlichen Abstieg nach Varen, einem Winzerdorf, wo um 13 Uhr das Mittagessen mit Raclette auf uns wartet. Nach «Goethes Kurve», vielleicht wird sie offiziell mal so benannt, Richtung Rhonetal mit Blick auf den Pfynwald, macht sich die Mittagshitze unbarmherzig bemerkbar. Die alpine Flora wechselt zu einer mediterranen. Heute wird es einen ersten Hitzetag mit 30°C geben. Wir verlassen den schattigen Wald, denn unser Abstieg führt uns nun durch die Reben, die die Sicht auf das breiter werdende Tal Richtung Siders und Sitten im Südwesten freigeben. Besonders mein linkes Knie meldet sich, wenn auch leise. Es hat bereits 600 m Abstieg hinter sich. Ich bereue, dass ich statt meiner Wanderstöcke einen Regenschirm mitgenommen habe. Zum letzten Mal, wie ich mir schwöre. Goethe hatte bestimmt zumindest einen Wanderstock dabei. Besonders auf den Schotterwegen kann man leicht auf den flachen Schiefersteinen ausrutschen. Schliesslich kommen wir bei einer Sporthalle an, neben der auf dem inzwischen vor Hitze glühenden Asphaltplatz Holztische und -bänke auf uns warten. Der Raclettekäse muss von den freundlichen Gastgebern erst gar nicht lange geschmolzen werden. Die Warteschlange kommt zügig voran. Mit einem Kartonteller in der Hand, der mit zwei Pellkartoffeln – in der Schweiz «Gschwellti» genannt, sauren Gurken, Silberzwiebeli und zerlaufenem Käse beladen wurde, sowie einem Glas Walliser Weisswein, suche ich mir einen Schattenplatz unter dem Dachvorsprung der Turnhalle und setze mich einfach auf den Boden. Einige Mitwandernde machen es mir nach und so geniessen wir trotz diesen Umständen gut gelaunt unser wohl verdientes Mittagessen. Inzwischen verbreitert sich der Schatten des Vordachs zusehends, denn die Sonne hat ihren höchsten Punkt überschritten. Kurzerhand verschieben ein paar kräftige Männer die langen Bänke und Tische zur Wand der Turnhalle, so dass niemand mehr beim Essen auf dem Boden sitzen muss. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden verlässt nach dem Mittagessen die Gruppe, um sich mit dem Bus nach Leuk und weiter auf den Heimweg zu begeben. Die meisten Mitwandernden wohnen im Rhonetal, in den Kantonen Bern, Luzern oder woanders und waren zum Start der Wanderung mit dem Bus nach Leukerbad gekommen. Einige wohnen auch in Salgesch, wohin die restliche Gruppe um 14.30 Uhr von Varen aus aufbricht. Angekündigt wird uns eine gemütliche Wanderung entlang der Suonen, wie im Wallis die Wasserkanäle aus dem 13. Jahrhundert genannt werden. Auf Madeira heissen sie «Levadas». Sie sorgen auch heute noch für eine gerechte Verteilung des Wassers durch Felder und Rebhänge. In Aussicht gestellt wird uns auch eine riesige Crèmeschnitte vor dem Weinmuseum im Zielort Salgesch. Die folgenden 1 ½ Stunden erscheinen mir ziemlich lang und mühsam. Zunehmend spüre ich meine Müdigkeit und mein linkes Knie. Doch die Schönheit der Landschaft und das kühle Wasser in den Suonen lassen mich durchhalten. Gewitterwolken türmen sich über den Bergen auf und warten geduldig, bis ich wieder sicher zuhause in Leukerbad angekommen sein werde. Mein Regenschirm wird unbenutzt im Rucksack bleiben. Der Abstieg nach Salgesch, dem grössten Winzerdorf im Wallis 40 Winzerunternehmen, überwiegend von Familien geführt –, ist sehr steil. Neben uns fliesst ein kleiner Bergbach munter hinunter: die Raspille. Deswegen heisst dieser Kulturweg «von der Dala bis zur Raspille», die die Sprachgrenze zwischen dem Wallisertitsch des Oberwallis und dem Französisch des Unterwallis bildet. Anselmo erzählt uns noch, dass sich Probleme mit dem Nachwuchs auch in Salgesch zeigen. Viele Rebberge werden vermietet oder als teure Grundstücke an eine reiche Kundschaft aus dem Ausland verkauft. Grosse Villen mit nicht hierher passender moderner Architektur verschandeln an einigen Stellen bereits die Landschaft. Im Namen der Gruppe bedankt sich ein älterer Mitwandernder bei Anselmo für die kompetente und umsichtige Führung. Müde und zufrieden treffen wir beim Weinmuseum, das bereits geschlossen hat, in Salgesch ein. Bis zum nächsten Zug nach Leuk bleibt gerade noch genügend Zeit, um bei den wieder für uns bereitstehenden Bänken und Tischen eine süsse Crèmeschnitte – drei Blätterteigschichten mit Vanillecrème dazwischen – zu vertilgen und dem Team von Leukerbad-Tourismus herzlich für die ausgezeichnete Organisation dieses historischen Tages zu danken. Beim Bahnhof Leuk hat die kleine Gruppe aus Leukerbad direkten Anschluss an den Bus. Gegen 17.30 Uhr treffen wir im heimatlichen Busterminal ein. Um 21 Uhr entladen sich die ersten Gewitterwolken, die dank dem Segen des Pfarrers und dem Schutz der Heiligen sowie der Erzengel so lange gewartet hatten. Niemand hatte auf dieser Wanderung einen Unfall erlitten, niemand einen Hitzeschlag. Zu meinem Erstaunen hatte ich die für mich ungewohnten kulinarischen Ereignisse bestens vertragen. Wegen des Walliser Weissweins oder des Schutzes eines Heiligen? Wer weiss… Dankbar und erschöpft falle ich ins Bett. Diese Wanderung war ein einmaliges Erlebnis, das ich sicher nie vergessen werde, aber sicher nicht in dieser Form wiederholen werde. Im Prospekt steht: «Der Kulturweg Dala – Raspille beeindruckt durch das Wechselspiel der vielseitigen Natur- und Kulturlandschaft.» Auch wenn dieses Wechselspiel dann nicht so beeindruckend ist, lässt sich dieser Weg wegen der guten Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr ohne weiteres in drei oder vier einzelne Etappen aufteilen. Unbedingt mit Wanderstöcken, nicht unbedingt mit Weissweinsuppe, stattdessen lieber mit Besuch eines Weinkellers und des Weinmuseums. Und wegen des Muskelkaters ist ein Besuch der Therme spätestens am darauffolgenden Tag sehr empfehlenswert. Man kann auf Goethes Spuren nicht nur wandern, sondern auch baden. Dies wird bestimmt bei der nächsten Auflage des Prospekts drinstehen. «Goethes Kurve» vielleicht auch.

Foto: Blick vom Dala-Tal ins Rhonetal auf Susten, rechts im Bild der Kulturweg entlang der steilen Felswand
und Text: Petra Dobrovolny

Thermalwasser Leukerbad

Für alle, die sich für das Leukerbader Thermalwasser und die Geheimnisse des Wassers interessieren

Info-Tafeln der Thermalquellenzunft erklären die Entstehung des Leukerbader Thermalwassers: Oben auf dem Torrent in etwa 2500 m über dem Meeresspiegel sickert Regen- und Schneewasser in zwei Bergseen in die Erde, fliesst bis ca. 600 m unter den Meeresspiegel, zirkuliert dort 40 Jahre lang und tritt in mindestens 22 natürlichen Quellen als Thermalwasser mit Temperaturen von bis zu 51°C wieder an die Oberfläche. In der Dala-Schlucht zum Beispiel an den Felswänden. Dies sieht man an der rostbraunen Färbung der Felsen. Beim Thermalquellensteg, der von der Thermalquellenzunft erstellt wurde und unterhalten wird,  kann man an einem Seil einen kleinen Eimer, der sich unten in einem Bassin am Rand der Schlucht mit ca. 37 °C warmem Thermalwasser füllen lässt, zu sich heraufziehen.

In Leukerbad findet sich das grösste Thermalwasservorkommen der Alpen: Es fliessen täglich 3 Millionen Liter.

In einem Sammelbecken bei der Leukerbad Therme, früher „Burgerbad“ genannt, kommt Thermalwasser aus drei Quellen zusammen. Eine Quelle davon ist ein sogenanntes „Lichtwasser“, welches auch den „Warmen Trog“, den Brunnen neben der Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen, speist, bevor es in das Sammelbecken der Leukerbad Therme fliesst. Dieses Wasser hat eine ähnliche Heilkraft wie dasjenige aus dem Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien und ist ein Lichtwasser. Ein Lichtwasser macht Resonanz auf alle 7 Frequenzen – die Regenbogenfarben – des Lichts, die zusammen weisses Licht ergeben. Deswegen werden Lichtwässer in Italien „acque a luce bianca“, auf Deutsch „Lichtwasser“, auch manchmal „Marienwasser“ genannt, da sich diese Quellen häufig an Marienwallfahrtsorten befinden. Doch bereits in vorchristlicher Zeit und auf der ganzen Erde verteilt waren „heilige Quellen“ mit  heilendem Wasser bekannt. Der Ganges in Indien ist nur ein Beispiel.

Dieses Lichtwasser einer Leukerbader Quelle wirkt in ähnlicher Weise heilend oder lindernd wie dasjenige von Medjugorje auf das Mesoderm – auf das mittlere Keimblatt – des Menschen, das heisst auf die Knochen, die quergestreifte Muskulatur, die Aufrichtung der Wirbelsäule, die Nervenbahnen und die Grosshirnrinde, das Urogenitalsystem, die Blutgefässe sowie die Verdauungsorgane. Dies bedeutet, es wirkt bei einer Vielzahl von Krankheiten, besonders bei rheumatischen und neurologischen. Im „Badebüchlein Leukerbad“, welches 500 Jahre Badetourismus beschreibt,  heisst es, dass das gesamte hiesige Thermalwasser – nicht nur dasjenige der Lichtwasserquelle – für nahezu alles als gut erachtet wurde, zum Beispiel auch für Lähmungen, gebrochene Knochen, Unfruchtbarkeit bei Frauen, Krampfadern, Nierensteine bis Hautausschlag. 

Weitere Literatur:

Enza Maria Ciccolo: Lichtwasser, Wasser der Liebe. Forschung, Grundlagen und ganzheitliche therapeutische Konzepte. AT-Verlag 2004 Gudrun Dalla Via: Lichtwässer und ihre Heilkräfte. En praktischer Ratgeber. AT-Verlag 2002 Gudrun Dalla Via, Erich und Monika Baumgartner: Lichtwasserorte in Mitteleuropa. Heilendes Wasser von hundert Orten der Kraft. AT-Verlag 2012. In diesem Buch wird  das Leukerbader Thermalwasser leider nicht untersucht.

Leider sind alle drei Bücher vergriffen, eventuell antiquarisch erhältlich oder in einer Bibliothek zu finden.

In den letzten 30 Jahren hat die Wasserforschung dank neuer Messgeräte und Mikroskope neue Erkenntnisse über die Eigenschaften des Wassers offenbart. Bekannt geworden ist besonders Prof. Emoto Masaru, der durch seine Eiskristall-Fotografien zeigte, dass Wasser Informationen aufnimmt. Sein Buch „Die Botschaft des Wassers“ wurde ein Bestseller. Ein bei Thun lebender Schweizer Fotograf, Ernst F. Braun, erstellt im Auftrag Wasserkristallfotografien von eingeschickten Wasserproben. Mehr: www.wasserkristall.ch

Auch das Dunkelfeldmikroskop enthüllte „Die Geheimnisse des Wassers“, so der Titel des Buches von Prof. Dr. Bernd Kröplin und Regine C. Henschel, das 2019 im AT-Verlag erschienen ist. 

Weitere Infos:

www.thermalquellenzunft.ch

www.quellonline.de

www.weltimtropfen.de

www.st-leonharts-quellen.de

Foto: Info-Tafel der Thermalquellenzunft

und Text: Petra Dobrovolny

Das internationale Literaturfestival in LB

24. Juni, Samstag: Internationales Literaturfestival
Auch dieses Jahr findet es in Leukerbad statt, vier Tage lang. Zum dritten Mal möchte ich den literarischen Abend am Samstag erleben. Die zwei weissen Festzelte sind wieder aufgestellt. Nach zwei Tagen Nebel und grauen Wolken zeigt sich heute ein strahlend blauer Himmel. Zunächst gehe ich zur Mittagszeit in das Bücherzelt am Dorfplatz, um zu fragen, wo ich ein Ticket kaufen kann. Die junge Dame sagt mir, hier gäbe es nur die Bücher, ich solle im nächsten Zelt neben der Walliser Alpentherme fragen. Dort treffe ich einen jungen Walliser an, der gerade Getränke auspackt. Er wüsste von nichts, denn er arbeite nicht für das Festival, sondern für die Catering-Firma. Ich solle im Tourismusbüro beim Bahnhof fragen. Dann legt er vier pizza-ähnliche blasse Gebilde in die Vitrine und sortiert die Weinflaschen.

Zunächst gehe ich jedoch in die Kirche, um während einer Stunde zufälligen Passant:innen mit meinen meditativen Klängen zu inspirieren. Die zahlreichen Festivalbesuchenden sind zu sehr mit Literatur oder dem Mittagessen beschäftigt, so dass bei meinem «Dona nobis pacem» nur ein einziger älterer hellblonder Mann mit schlanker nordischer Körpergrösse mit abgewetzten Jeans und auch sonst ärmlich aussehender Kleidung die Kirche betritt. Er bekreuzigt sich auf Herzhöhe, setzt sich in eine Bank und hört mir zu. «Pax domini sit semper vobiscum.» Er nimmt seine Sonnenbrille ab und faltet die Hände zum Gebet. Bald löst er eine Hand, um sich Tränen abzuwischen. «Agnus Dei, dona eis requiem.» Dann steht er auf, kramt in seiner Hosentasche, kommt zum kleinen Altar der Seitenkapelle, auf dem meine Klangschalen stehen, legt ein kleines Geldstück auf die weisse Tischdecke und nickt mir leicht zu. «Andate in pacem», singe ich, noch bevor der Besucher die Kirchentür leise hinter sich schliesst. Das 50-Rappen-Stück spende ich der hl. Maria von Fatima.

Im Tourismusbüro erfahre ich, dass sich der Ticketschalter dieses Jahr in der Skischule beim alten Bahnhof befindet. Dort teile ich der jungen Dame meinen Wunsch nach einem Einzelticket für den Abend mit. Sie schaut mich durchdringend an und will unbedingt wissen, ob ich denn beabsichtige bis zum Ende der Veranstaltung um 24 Uhr zu bleiben. Ihr strenger Blick meint ohne Worte, dass es mir nicht in den Sinn kommen solle, jemandem, der unbedingt so lange bleiben wolle, bereits um 20 Uhr den Platz wegzunehmen. Ich erwidere mit einem erstaunten Blick und bejahe ihre Frage mit der Botschaft ohne Worte, dass mir die Zeitdauer der Veranstaltung bekannt sei und ich nicht die geringste Absicht hätte meinen Platz unrechtmässig frühzeitig zu verlassen. Daraufhin nimmt sie eine grosse dunkelblaue Eintrittskarte, schreibt auf die weisse Rückseite «literarischer Abend» und 45.- bezahlt. Dazu bekomme ich einen leuchtend gelben Halsbändel überreicht, an dem sich die Karte befestigen lässt. So sei ich für die Eingangskontrolle erkenntlich, meint die Dame, sie selbst sei aber auch am Abend ebenfalls beim Eingang. Im Falle eines Problems mit meiner Karte würde sie höchst persönlich dafür sorgen, dass ich eingelassen werde.
Als ich am Abend 10 Minuten vor Beginn das grosse weisse Zelt betrete, ist diese Dame weit und breit nicht zu sehen und niemanden interessiert meine Eintrittskarte. Das Programm bekomme ich in die Hand gedrückt, weiter vorne beim Podium finde ich wie die beiden Jahre zuvor meinen gewohnten Platz. Das Publikum unterhält sich untereinander angeregt, denn dieses Jahr muss niemand mehr «wegen Corona» eine Maske tragen. Aus Erfahrung weiss ich, dass mit der Zeit die Kälte im gut durchlüfteten Zelt zunimmt und habe mir ein Sitzkissen und eine kleine Wolldecke mitgenommen. Es blieb mir gerade noch genügend Zeit, um an der kleinen Bar bei dem jungen Mann, der wahrscheinlich immer noch nicht weiss, wo sich der Ticketschalter des Festivals befindet, ein Glas Walliser Pinot Noir zu besorgen. Letztes Jahr gab es noch Rotweingläser, für die man 5.- Fr Depot zahlen musste. Jetzt gibt es Plastikbecher in spitzer Kelchform, die eigentlich für Sekt bestimmt sind. In diesem Gefäss kann sich mein Pinot Noir nicht richtig entfalten. Dafür muss ich nachher nicht wie die letzten beiden Jahre noch einmal Schlange stehen, um das «Glas» gegen ein Depot zurückzugeben. Die ersten drei Vorlesenden werde angekündigt. Die Libanesin Chaza Charafeddine, Jg. 1964, lebt nach Studien in Deutschland und der Schweiz heute wieder in Beirut, und beginnt den Abend mit einem Auszug aus ihrem Buch «Beirut für wilde Mädchen». Zunächst liest sie ein paar Minuten in ihrer arabischen Muttersprache vor. Leider viel zu schnell, so dass sich die Schönheit des Arabischen gar nicht entfalten kann. Das Publikum, welches zu 70% aus grau- oder weisshaarigen Damen besteht, hört höflich zu, kann aber mehr verstehen, als die Autorin auf Deutsch von verbotenen Partys in ihrer Pubertätszeit erzählt, zu denen sie ihre ältere damals 16-jährige Schwester mitnahm. Als Zweiter schildert Karl Rühmann, Jg. 1959, der in Jugoslawien und den USA aufwuchs, das Gespräch eines Grossvaters mit seinem Sohn und Enkel darüber, ob er die «Partisanenrente» beantragen solle. Ein Satz ist mir in Erinnerung geblieben: «Wer das System ausnützt, hat es verstanden.» Als Dritte liest Yael Inokai, 1989 in Basel geboren, Tochter einer Deutschen und eines Ungarn, aus ihrem neusten Roman «Ein simpler Eingriff» und stellt ethische Fragen nach dem Nutzen medizinischer Eingriffe. Es folgt eine Viertelstunde Pause, genug Zeit, um sich ein weiteres Getränk in einem unpassenden Glas an der Bar zu holen. Um 21 Uhr beginnt ein weiterer Block mit Magdalena Schrefel, die einen Einblick in ein Familienleben mit einer alleinerziehenden spielsüchtigen Mutter gibt, mit Raphael Urweider, der sich in Termiten einfühlt, die in ihrem Leben nur wenige Tage fliegen können, und dem Walliser Rolf Hermann, der von seinem Job als Schafhirte erzählt und dabei mit unterschiedlich begabten und trainierten Hirtenhunden zurechtkommen muss. Zu Beginn der Pause meldet sich bei mir ein menschliches Bedürfnis. In der Dunkelheit nehme ich die Holzbude mit den Toiletten nicht wahr. Stattdessen gehe ich in das nächste Hotel, von dem ich weiss, dass sich das Örtchen im Untergrund befindet. Nach dem WC-Besuch gehe ich die Treppe wieder nach oben und finde ich die Türe zum Empfang abgeschlossen. Innerhalb von drei Minuten meines unterirdischen Aufenthalts hat sich mir der Rückweg zum Literaturzelt versperrt. Mein Klopfen und Rufen nützt nichts. Ich höre nur die beschallende Musik des Hoteleingangs, die Person mit dem rettenden Schlüssel hat sich mindestens 5 Minuten zu früh den Feierabend gegönnt. Meine Uhr zeigt 21.55 Uhr. Die unangenehme Aussicht, die Nacht im gekachelten und fensterlosen Untergeschoss eines Hotels zu verbringen wird dadurch abgemildert, dass ich jederzeit auf die Toilette gehen oder Wasser trinken könnte. Mir fällt der Satz ein: «Wenn sich eine Tür schliesst, öffnet sich eine andere.» Also drehe ich mich um, gehe die Treppe hinunter und entdecke mindestens sechs weitere Türen. Und siehe da: Die vierte Türe lässt sich öffnen, und gibt den Weg frei zu einer mit Teppich bespannten Treppe. Oben angekommen befinde ich mich am anderen Ende des Hoteleingangs. Auch hier habe ich Glück: Die Aussentüre lässt sich von innen öffnen. Ein Seufzer der Erleichterung entfährt mir und ich finde zurück zu meinem Platz im weissen Zelt, wo mein Rucksack, mein Sitzkissen mit der Decke auf mich gewartet haben. Etwa die Hälfte des Publikums hat sich inzwischen in die umliegenden Restaurants oder Hotels zurückgezogen. Die Themen des nächsten Blocks sind bei Christoph Geiser männliche Gewalt, bei Ariane von Graffenried ein Sexroboter, dem bei der Arbeit die Batterie ausgeht und bei Martin Bieri Raumsonden, die den Kontakt zur Erde verloren haben. Um 22.45 Uhr wird die letzte Pause angekündigt, ein weiterer Teil des Publikums verlässt das Zelt, in dem es inzwischen ziemlich kühl geworden ist. Niemand möchte mehr etwas von der Bar, wo die pizza-ähnlichen Gebilde immer noch unbeachtet in der Vitrine ausharren. Von 23 bis 23.45 Uhr stehen noch Lesungen von Jennifer Makumbi aus Uganda, Rajesh Parameswaran aus Indien und Arno Camenisch aus Graubünden auf dem Programm. Aber der verlockenden Aussicht auf einen wärmenden Rotwein in einem richtigen Glas und einen gemütlichen Raum ohne Kacheln gebe ich gerne nach und nehme den fünfminütigen Weg nach Hause unter die Füsse. Auch wenn mein frühzeitiges Verlassen der Dame am Ticketschalter des Literaturfestivals nicht gefallen hätte.

Foto des Programms und Text: Petra Dobrovolny                 

Begegnungen im Juni 17. Juni, Samstag

Als ich zur Mittagszeit in der Pfarrkirche meine Klangschalen spielte und dazu sang, wurde ich mit einer besonderen Begegnung beschenkt. Eine etwa 35-jährige japanische Touristin betrat die Kirche. Auf dem Rücken trug sie einen grossen, vorne auf der Brust einen kleinen Rucksack. Wanderstöcke hatte sie auch dabei. Ich sang gerade «Gloria in excelsis», danach «Sanctus». Nach kurzer Zeit brach sie in Tränen aus, legte ihr Gepäck ab, setzte sich auf eine Bank, hörte mir weiter zu und weinte. Nach etwa 20 Minuten kam sie zu mir, bedankte sich unter Tränen und sagte auf Englisch: «Ich bin so glücklich! Ihre Stimme und die Klangschalen haben mein Herz so stark berührt! Vielen, vielen Dank!» Sie wollte bei der Statue der heiligen Maria von Fatima eine Kerze anzünden, ich half ihr dabei. Sie käme aus Okinawa, dem Süden Japans. Ich fragte, ob sie meine Visitenkarte möchte. Auf meinem Youtube-Kanal könne sie Aufnahmen meiner Gesänge und Klänge in der Kirche hören. Über dieses Angebot freute sie sich sehr, sie werde sich dies zuhause in Japan anhören. Immer noch mit Tränen in den Augen verabschiedet sie sich, nimmt ihre Rucksäcke und verlässt mit ein paar zu mir gewandten Verbeugungen japanischer Art die Kirche. Mich hat diese Begegnung sehr berührt. Dass mir Zuhörende ihre Tränen aus Kummer oder Trauer fliessen lassen, habe ich schon oft erlebt. Dass jemand über meinen Gesang und Klang so heftig aus Freude weint und dazu noch von so weit her und von einer anderen Kultur kommt, habe ich noch nicht erlebt. Meine Darbietung war für diese japanische Touristin ein Geschenk. Ihre Freudentränen waren ihr Geschenk an mich. Die Muttergottes würde sagen: «Wenn sich Herzen öffnen, gibt es weder Grenzen noch Fremdsein, sondern Vertrauen und Nähe.»

Foto und Text: Petra Dobrovolny

Begegnungen 2. Hälfte April

Während ich am Ostermontag wieder zur Mittagszeit meine Klänge und Gesänge verbreite, besuchen viele Familien die Kirche, um eine Kerze für ihre Liebsten anzuzünden: «Pour grandmaman, pour grandpapa.» Drei Besucherinnen wollen mehr über meine Klangschalen wissen, eine Dame aus Lausanne fragt mich, ob dies eine katholische Kirche sei, andere fragen nach der Herkunft der Marienstatue und staunen, dass diese aus dem portugiesischen Fatima stammt. Manche möchten gar nichts von mir wissen und lieber im Stillen zu meinen Klängen beten.

Dies tun auch wieder die Teilnehmenden an meiner Klangmeditation am Freitag, den 14. April. Georg bewacht wieder die Kirchentür und sorgt dafür, dass ich mich ganz auf meine Klänge konzentrieren kann. Eine Dame aus dem Kanton Fribourg hatte mir einmal beim Proben zur Mittagszeit zugehört, war davon fasziniert und kam jetzt zum ausgeschriebenen Anlass. Am Tag danach trafen wir sie zufälligerweise in einem Restaurant wieder. Sie kam auf mich zu und bedankte sich nochmal für die wunderbaren Klänge. Während ich Ave-Maria und Salve-Regina gesungen hätte, sei sie zu Tränen gerührt gewesen.
Ein paar Tage später betritt ein Ehepaar die Kirche zur Mittagszeit und staunt über meine Klänge. Sie seien «mystisch» und führten nach innen. Es stellt sich heraus, dass sie beide Kirchenmusiker sind und aus Luzern kommen. Es erstaunt sie, wie stark meine Klänge auf- und abschwingen – oszillieren – und im gesamten Kirchenraum herumwandern. Die Organistin meint, dass ich dies unbedingt in der hiesigen Reha-Klinik kranken und gehbehinderten Menschen anbieten sollte. Wer weiss? Vielleicht wird mir der Zugang noch eröffnet. Wir leben in einer Zeit, in der Zyklen enden und sich neue Portale öffnen. Vor allem an der Sonnenfinsternis vom 20. April und der Mondfinsternis vom 5. Mai. Die Wirkung dieser himmlischen Konstellationen wird in die kommenden 6 Monate hineinwirken.

Heute, am 22. April, betritt eine etwa 20-köpfige Gruppe sogenannter geistig behinderter Tourist:innen die Kirche für eine Besichtigung. Sie winken und lachen mir herzlich zu, während ich ihnen ein kurzes Klangbad als Willkommensgruss schenke. Etwas irritiert nimmt die mir nicht bekannte Fremdenführerin von «Leukerbad Tourismus» Kenntnis von meiner Präsenz in der Seitenkapelle. Sie will offenbar ihr Programm durchziehen und beginnt ohne mich über die Länge ihres Vortrags zu informieren, etwas über die Geschichte der Kirche und Bischof Schiner, dem ersten Besitzer der Thermalquellen, zu erzählen. Nach gut 5 Minuten meint sie mit einem Kopfnicken in meine Richtung, dass ich jetzt weitermachen könne und verlässt schnellen Schrittes die Kirche. Die Gruppe folgt ihr nur zögerlich, denn viele möchten noch so lange wie möglich meine wiedereinsetzenden Klänge geniessen. Mit einem herzlichen Winken zum Abschied werde ich belohnt. 

Foto: Seitenkapelle mit Darstellung des Weges zum Grab Jesu

und Text: Petra Dobrovolny    

Begegnungen zur Osterzeit 2

Ostersonntag, der 9. April: Alle feiern!

Die Kirche ist wunderschön geschmückt, die Ostermesse gut besucht. Der Chor gibt sein Bestes. Es herrscht eine freudige und feierliche Stimmung. Der Pfarrer spricht nicht davon, dass wir alle Sünder oder Sünderinnen sind, noch davon, dass Christus für uns am Kreuz gestorben ist, sondern er erzählt die Geschichte von Maria von Magdala, als sie Christus vergeblich im Grab suchte und ihn schliesslich als den Auferstandenen antraf. Ostern als Feier des Geistes über den Körper, über die Materie.
Meine Gedanken dazu: Christus hat mal gesagt: «Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach.» Er hat nicht gesagt: «Ich nehme das Kreuz für dich auf mich.» Das wäre unlogisch und auch zu bequem für uns. Und dies noch für alle unsere zukünftigen Sünden! Meiner Meinung nach hat Christus als unser Lehrer seinen Körper durch die Kreuzigung transformiert, um uns zu zeigen, wozu wir als Menschen fähig wären. So wären wir auch in der Lage, auf geistigem Wege Krieg in Frieden zu verwandeln. Wenn ich singe «dona nobis pacem» meine ich damit nicht, dass eine äussere göttliche Kraft uns Frieden geben möge, sondern ich bitte darum, dass wir uns unserer eigenen geistigen Kraft bewusst werden, um diese für den Frieden in unserem Alltag einzusetzen. Gott hat seinen Sohn uns als Vorbild und Lehrer geschenkt, nicht als Opferlamm. Das Lamm liegt auf dem Buch mit sieben Siegeln. Unser Bewusstsein ist siebenfach versiegelt. Wir leben in einer Zeit, in der wir dazu aufgerufen sind, zu erwachen, d.h. unser Bewusstsein zu entsiegeln.

Während ich am Ostermontag wieder zur Mittagszeit meine Klänge und Gesänge verbreite, besuchen viele Familien die Kirche, um eine Kerze für ihre Liebsten anzuzünden. Drei Besucherinnen wollen mehr über meine Klangschalen wissen, eine Dame aus Lausanne fragt mich, ob dies eine katholische Kirche sei, andere fragen nach der Herkunft der Marienstatue und staunen, dass diese aus dem portugiesischen Fatima stammt. Manche möchten gar nichts von mir wissen und lieber inbrünstig zu meinen Klängen beten.  

Foto: Pfarrkirche Leukerbad, Altar

und Text: Petra Dobrovolny             

Begegnungen zur Osterzeit

5. April, Mittwoch vor Gründonnerstag: Zur Mittagszeit habe ich wie gewohnt mit meinen Klängen meditiert und bin gerade dabei, die Klangschalen wieder einzupacken, als eine ältere Dame die Kirche betritt und mit ihrem Smartphone in der Hand auf mich zukommt. Ob ich schon fertig sei, möchte sie wissen. Als ich ihre Frage bejahe, sagt sie enttäuscht: «O wie schade, da habe ich Sie verpasst! Ich wollte eine Aufnahme machen und sie meiner Freundin, die morgen operiert wird, senden. Gestern hatte ich schon versucht die junge Organistin bei ihrem Üben aufzunehmen, doch das hat nicht funktioniert.» Ich erkläre ihr: «Die Aufnahmen müssen professionell gemacht werden. Vor zwei Tagen habe ich meine Version von ‘Dona nobis pacem’ auf meinen Youtube-Kanal geladen. Wenn Sie mir Ihre E-Mail-Adresse geben, kann ich Ihnen den Link schicken, den Sie Ihrer Freundin weiterleiten können.» Die Dame freut sich sehr über dieses Angebot und schreibt mir ihre Adresse auf. Sie erzählt mir, dass sie mit ihrem Mann im Kanton Thurgau wohne und seit 1993 jedes Jahr nach Leukerbad in die Ferien käme. Von meinen Klängen sei sie sehr fasziniert. «Die sind so durchdringend und gehen in jede Körperzelle. Das tut so gut!» Daraufhin spiele ich für diese wohl 85-jährige Thurgauerin noch eine Zugabe. Sie bedankt sich herzlich bei mir. Es sei wunderbar gewesen. Leider würde sie morgen wieder nach Hause fahren. Doch nächstes Jahr käme sie wieder.

In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag gibt es die Tradition der sogenannten «Anbetung». Jesus soll zu seinen Jüngern am Abend vor seiner Festnahme im Garten Gethsemane gesagt haben: «Bleibet hier und wachet mit mir.“ (Matthäus 26, 36ff) Deswegen ist die Kirche die ganze Nacht über geöffnet, man die Stunde der eigenen Präsenz auswählen und sich in eine Liste eintragen. Ich füge meinen Namen zwei anderen hinzu für die Zeit von 23 bis 24 Uhr. Sicherheitshalber frage ich den Organisten, der auch für organisatorische Belange zuständig ist, ob es erlaubt sei, wenn ich in der Zeit meine Klangschalen spiele. Er meint, nur die Orgel müsse bis Ostersonntag schweigen, doch andere Instrumente seien erlaubt. Ich müsste mich nur darauf einstellen, dass es Frauen gäbe, die laut den Rosenkranz beteten, und dies nicht nur einmal, sondern mindestens eine Stunde lang. Das würde ihn persönlich stören, denn er würde das stille Gebet bevorzugen. Also beschliesse ich, anstatt für mich allein zu Hause zu meditieren, mich auf diese mir bisher unbekannte Tradition einzulassen und offen zu sein für eine Möglichkeit, mich einzubringen. Und tatsächlich: Fast gleichzeitig mit mir finden sich zwei Leukerbadnerinnen ein und beginnen in der Seitenkapelle, wo mit Papiermaché das Grab Jesu nachgebildet wurde, abwechslungsweise sehr gekonnt den Rosenkranz zu beten. Als Protestantin wurde ich nicht in diese hohe Kunst eingeweiht, kenne den Text nur teilweise und könnte auch nicht mit der hohen Geschwindigkeit mithalten. In aller Ruhe stelle ich meine drei Kristall-Klangschalen wie gewohnt auf den kleinen Altar dieser Barbarakapelle und beginne mit meinem Schlägel jeweils den oberen Rand zu streichen, so dass sich nacheinander allmählich drei verschiedene langanhaltende vibrierende Töne entfalten. Mit diesem «Klangteppich» begleite ich die Litanei der beiden Frauen. Eine Stunde lang durchwabert ein faszinierendes Gewebe von Kristallklängen und zwei weiblichen Stimmen den nach Weihrauch duftenden sakralen Raum.

Foto: Barbarakapelle in der Pfarrkirche Maria, Hilfe der Christen mit der Darstellung vom Grab Christi und meinen Klangschalen

und Text: Petra Dobrovolny            
     

Begegnungen im März 4

Am 23. März probe ich ausnahmsweise am späteren Nachmittag in der Kirche. Ich hoffe, dass ich meine Klänge ungestört aufnehmen kann und beginne mit «Dona nobis pacem». Nach etwa einer Minute höre ich die Türe des vorderen Seiteneingangs. Ein älterer Herr betritt mit seinem Fox Terrier die Kirche, geht den Mittelgang bis zur Höhe der Seitenkapelle, wo ich musiziere, und setzt sich in meiner Sichtweite auf einen Stuhl, um mir zuzuhören. Das Aufnahmegerät lasse ich laufen und hoffe, dass der Hund nicht bellt oder zu den Klängen beginnt zu heulen. Doch er und sein Herrchen hören ruhig und andächtig zu, sodass die Aussicht auf eine gelungene Tonaufnahme doch noch besteht. Schliesslich schaffe ich es nach 3 Minuten bis zum «Amen». Daraufhin kommt der Herr mit Hund zu mir: «Darf ich Sie fragen, was Sie da spielen und wozu das sein soll?» Ich sage, dass ich für meine Klangmeditation probe, die jeden 2. Freitag offiziell stattfände. Mit Blick auf seinen Hund meine ich: «Eigentlich gehören Hunde nicht in eine Kirche.» Doch er entgegnet mir: «Mein Hund bedeutet mir sehr viel. Er ist genauso ein göttliches Geschöpf wie Sie und ich.» Es stellt sich heraus, dass er in der Nähe von Trier wohnt und öfters in Leukerbad Ferien verbringt. Er hätte mir gerne zugehört, sei gläubig, aber nicht katholisch. Er sei Protestant, habe Vorbehalte gegen die katholische Kirche und sei als Kind in der Schule von einem katholischen Lehrer jahrelang gemobbt worden. Er erzählt mir ein Beispiel davon so, als wäre dies gestern und nicht vor mehr als 60 Jahren passiert, hebt den rechten Zeigefinger und sagt: «Doch das ist nur ein Beispiel, es gab noch viel mehr davon.» Ich gebe dem Hundebesitzer den Flyer zu meiner nächsten Klangmeditation am 14. April mit den Worten: «Falls Sie mit Ihrer Frau kommen möchten …» Dann seien sie schon nicht mehr in Leukerbad, aber vielleicht ergäbe sich ein anderes Mal. Kaum haben Herr und Hund die Kirchentüre hinter sich geschlossen, schalte ich mein Aufnahmegerät wieder ein und singe zum dritten Mal «Dona nobis pacem».

Ende Januar habe ich mit Tonaufnahmen meiner Klänge in der Kirche begonnen. Ich weiss, dass es jederzeit zu Störungen kommen kann: Die Besuchenden schliessen die Kirchentüre entweder gar nicht oder mit einem solchen Knall, den mein Tontechniker später nicht aus der Tonspur löschen kann. Inzwischen habe ich gelernt, jeden Besucher und jede Besucherin willkommen zu heissen. Egal, wieviel Lärm wir machen, wir sind alle Geschöpfe Gottes, und irgendwann wird auch die Kirchentüre renoviert. Deshalb singe ich in solchen Momenten: «Benedictus, benedicta, qui venit in nomine Domini.» Wer will nach der «Corona-Zeit» beim Betreten oder Verlassen einer Kirche jeweils zweimal eine öffentliche Türklinke anfassen? Erstaunlicherweise – ich meine dies in Bezug auf die vergangenen Erfahrungen mit Corona samt der Angstmacherei wegen möglicher Übertragungen – tauchen gemäss meinen Beobachtungen viele Katholik*innen wieder oder immer noch meistens beim Betreten, manchmal auch beim Verlassen der Kirche – sehr oft ihre Fingerkuppen in eine der bereitstehenden Schüsseln mit Weihwasser. Die danebenstehende Flasche mit einem – wahrscheinlich nicht gesegnetem – Desinfektionsmittel bleibt unbeachtet. Und wenn ich wieder ungestört sein möchte, singe ich «Andate in pacem», und die Menschen verlassen andächtig diesen heiligen Ort und schliessen die Türe etwas sanfter. Wenn zwischendurch die Schweizer Luftwaffe nicht über Leukerbad übt, wenn keine Hunde bellen, Kinder schreien oder sich der Baulärm der Umgebung in Grenzen hält, gibt es durchaus stille und besinnliche Momente. Dann schaut mir die heilige Maria aus Fatima zu und lächelt sanft und nachgiebig, wenn ich mal den Ton beim «Salve Regina» nicht ganz treffe. Sie meint, ich dürfe nicht zu selbstkritisch sein, denn meine Hingabe beim Singen und Klingen sei das Wichtigste. In solchen Augenblicken finde ich mein Projekt, aus all diesen Aufnahmen eine CD bzw. ein Album zu kreieren, wieder durchführbar. Irgendjemand sagte mal: «Ein gutes Projekt erkennt man daran, dass es zu Beginn unmöglich erscheint.»  

Foto: Meine Klangschalen in der Pfarrkirche Leukerbad

und Text: Petra Dobrovolny  
     

Begegnungen mit dem Wasser des Lebens

22. März 2023: Meine Begegnungen mit dem Wasser
Heute ist der internationale Tag des Wassers. Dies bringt mich auf die Idee, mal über die Bedeutung des Wassers für mein Leben nachzudenken. Alles, die dies lesen, möchte ich auch dazu inspirieren:

Bist du an einem Gewässer geboren? Wohnst du an einem See? Hast du Sehnsucht nach dem Meer? Musst du mit Wassermangel leben oder mit Überschwemmungen? Verbringst du Ferien an einer Thermalquelle? Welche Flüsse, Seen und Meere hast du schon in deinem Leben bereist?

An dieser Stelle werde ich noch mehr schreiben. Doch jetzt gehe ich zu Ehren des Tages zuerst ins Leukerbader Thermalbad. Bis später!

Foto: Thermalquellenschlucht Leukerbad, Wasserfall der Dala
und Text: Petra Dobrovolny

Begegnungen im März 3

Am 14. März stirbt Georgs Cousin Tonda Kundera. Er lebte in Mähren und wurde 84 Jahre alt. Ich hatte ihn und seine Familie auf meinen Reisen in den 70er Jahren in die damalige Tschechoslowakei kennengelernt. Bei der heiligen Maria von Fatima hier in der Pfarrkirche von Leukerbad zünde ich für ihn eine Kerze an. In dem Moment spüre ich seine Seele. Der Verstorbene erkennt mich und sagt auf Tschechisch: «Ach du bist es!» , und nennt mich bei meinem Namen, wie Georgs Familie ihn für mich verwendet. Es scheint ihm peinlich zu sein, dass ich ihn so verzweifelt antreffe. «Ich weiss nicht wohin nevim kudykam –, am liebsten wieder zurück, aber ich weiss nicht wie.» Ich erkenne seine schwierige Situation: Seine Seele hat den Körper soeben verlassen und kann sich in dieser «Zwischenwelt» nicht orientieren. So antworte ich ihm: «Deine Familie damit meine ich die Familienmitglieder, die bereits gestorben sind – wartet auf dich auf der anderen Seite der Brücke.» Mit meiner Hand zeige ich in die Richtung hinter ihm, aus der in der Ferne ein Licht scheint. In dem Moment leuchtet seine Seele auf. Sie erinnert sich daran, dass es so ist. Ich muss weder etwas erklären noch beweisen. Nun geht alles sehr schnell:  Tonda dreht sich um und geht von zwei Engeln begleitet in die von mir gezeigte Richtung. Vor der Brücke blickt er nochmal zu mir zurück und sagt: «Grüsse alle von mir und sage ihnen, ich gehe jetzt schon mal voraus! Am Abend werden wir uns wiedersehen, ich werde dort auf euch warten!» Ich kann noch sehen, wie die Engel ihn über die Brücke begleiten und er auf der anderen Seite, die ganz in Licht getaucht ist, von seiner wartenden Familie, allen voran von seiner Mutter, liebevoll begrüsst wird. Die freudige festliche Stimmung schwappt über bis zu mir. Davon inspiriert spiele ich meine Kristallklangschalen auf dem Altar neben der Madonna mit den vielen kleinen Kerzen in den roten Plastikbechern und singe feierlich beschwingt «Dona nobis pacem» und «Dona eis requiem». Und wenn Georg wieder nach Leukerbad kommt, werden wir mit einem Gläschen hausgemachten mährischem Slivovic auf Tonda und die ganze Familie anstossen.     

Foto: Leukerbader Kirche in der Seitenkapelle der Heiligen Barbara mit meinen Kristallklangschalen
und Text: Petra Dobrovolny