Von der Kunst eine Fahrkarte zu kaufen

Es gibt viele Gründe, um nach 4 Jahren wieder mal nach Bonn zu reisen. Oder besser gesagt, um es zu wagen zu reisen. Denn mit der Deutschen Bahn weiss man nie, ob man auch dort ankommt, wo man hinmöchte, geschweige denn in dem Zeitrahmen, den man sich vorgestellt hat. Mit der Besorgung unserer Fahrkarten begann bereits das Abenteuer. Es dauerte zwei Stunden. Zunächst versuchte ich mein Glück zuhause am PC. Nach einer dreiviertel Stunde gab ich auf: Es schien unmöglich an dem gewünschten Datum zur gewünschten Zeit von Bern nach Bonn zu fahren. Der Zug hält nicht in Bonn HB, sondern erst in Köln. Oder er hält nur Bonn-Beuel, eine Platzreservation kann ich nicht vornehmen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Glück im Reisezentrum des Berner HB zu suchen. Nach einer viertel Stunde Wartezeit dürfen wir an den Schalter einer Dame, die nicht gerade einen kompetenten Eindruck macht. Sie sucht eine Weile im Internet und teilt uns schliesslich mit, dass es nicht möglich sei nach Bonn zu reisen. Wir müssten nach Köln. Ich entgegne, dass dies aber ein grosser Umweg sei. Sie findet das nicht, es seien doch nur 20 Minuten. Aber diese 20 Minuten müssten wir wieder zurückfahren, dies ergäbe dann 40 Minuten Zugfahrt ohne Sinn. Nach einer weiteren Suche teilt die Dame uns mit, dass wir nur nach Bonn-Beule fahren könnten. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass es Beuel heisse, nicht Beule. Nach kurzer Überlegung findet auch Georg, dass wir wenigstens mal bis dorthin buchen sollten. Die Dame druckt uns eine Fahrkarte aus, die sogar eine direkte Hinfahrt von Bern nach Bonn-Beuel anzeigt, ohne in Basel umzusteigen. Nach weiteren 5 Minuten erhalten wir noch die Rückfahrkarte vom Bonner HB nach Bern mit Umsteigen in Basel und Platzreservation. Die Rückfahrt scheint einfacher zu sein. Unterdessen haben wir mindestens eine halbe Stunde in dem Reisezentrum verbracht. Ich muss jetzt ins Wallis und Georg möchte mich zum Zug begleiten. Der Dame am Schalter sagt er, dass sie inzwischen in Ruhe danach suchen könne, ob doch eine Platzreservation nach Bonn-Beuel möglich sei, er käme in etwa 10 Minuten wieder. Nach diesen 10 Minuten ist die Dame jedoch mit einem anderen Kunden beschäftigt und tut so, als hätte sie Georg noch nie gesehen. Ein anderer Kollege kümmert sich jetzt um unser Anliegen. Eine Platzreservation nach Beuel scheint weiterhin unmöglich zu sein. Wir sollten einfach einsteigen und schauen, wo es freie Plätze gäbe. Das wollen wir aber nicht, denn wir wissen, wie gut besetzt die Züge in den Norden sind. Am nächsten Tag geht Georg noch einmal ins Reisezentrum am Bahnhof. Er wendet sich direkt an den Mitarbeiter, der neue Kolleg*innen in die Geheimnisse der Kundenberatung einweiht. Innerhalb von 5 Minuten erhalten wir die gewünschte Platzreservation, und zwar nach Bonn HB, obwohl der Zug dort gar nicht hält. Die Reservation ist gratis. Immerhin … 

Am 21. September finden wir tatsächlich unsere reservierten Plätze im EC von Bern nach Hamburg Altona, Bern ab um 13.04 Uhr. Laut der Informationstafel soll der Zug in Bonn HB halten. Wunderbar! Wir machen es uns gemütlich und freuen uns, dass wir in Basel nicht umsteigen müssen. In Basel hat der Zug etwa eine halbe Stunde Aufenthalt. Zeit genug, um noch etwas Proviant einzukaufen. Auf dem Bahnsteig kündigt die Infotafel an, dass der EC in Bonn-Beuel halten werde. Wir nehmen es gelassen. Gegen 15 Uhr nähern wir uns Freiburg. Hier steigen viele Leute ein. Karlsruhe, Mannheim. Die Hälfte unserer Reise ist geschafft. Mit 15 Minuten Verspätung. Mainz, Koblenz. Graue Wolken ziehen auf. In den Städtchen am Rhein entlang ist kein Mensch auf der Strasse zu sehen. Es kommt mir vor, als befände sich über der Landschaft eine riesige dunkelbraune Glasglocke, die alles Leben dämpft. Die Bahnstrecke säumen öfters Schrebergärten. Mir fällt auf, dass dort zahlreiche deutsche Fahnen wehen. Der Herr vom Empfang unseres Hotels sagt uns ein paar Stunden später, dass Deutschland in den letzten Jahren sehr nach rechts gerutscht sei. Es beginnt zu regnen, in Remagen wechselt der Zug die Rheinseite. Spätestens jetzt steht fest, dass er nicht in Bonn HB halten wird. Allmählich wird es dunkel, die Verspätung beträgt 30 Minuten. Der vorbeieilende Schaffner hat keine Lust, uns über die genauere Ankunftszeit in Beuel zu informieren. Wir stellen uns mit unserem Gepäck schon mal vor die Tür. Der Ec nimmt immer mehr an Fahrt auf, sodass wir befürchten, doch noch in Köln zu landen. Ein kleiner Bahnhof und ein stellenweise mit Gras bewachsener ungepflegter Bahnsteig kommen in Sicht, der Zug hält tatsächlich an. Es giesst in Strömen. Eine steile unbedachte Holztreppe führt zu einer Plattform über den Gleisen und auf der anderen Seite geht es ebenso steil hinunter. Mit unserem Gepäck schaffen wir das gerade noch. Ein netter Herr hilft einer gehbehinderten Dame mit ihrem Koffer. Sie nennt ihn einen Engel. Ein Taxi gibt es nicht, der nächste Bus zum Bonner HB fährt erst in 20 Minuten. Der Engel rät uns, die Strassenbahn zu nehmen. Er täte dies auch. Diese fährt in 2 Minuten und erreicht den Bonner HB in etwa 10 Minuten. Der alte Herr neben mir sagt: «Ich wohne jetzt seit 50 Jahren in Bonn. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Das ist nicht nur eine Schande für die Deutsche Bahn, sondern auch eine Schande für Deutschland.» Vor dem Bonner HB stehen zu unserer Erleichterung einige Taxis. Ich frage nach dem Preis zum Hotel Dreesen. «30 Euro», lautet die Antwort in gebrochenem Deutsch. Ich sage: «Wenn Sie wissen, wo das Hotel ist, dann steigen wir ein.» Ja, er wisse es, er sei schon mal dort gewesen. Nach 20 Minuten treffen wir im Rheinhotel Dreesen ein. Die Taxifahrt kostet 25 EUR.
Wir haben ein Doppelzimmer für drei Nächte reserviert. Ich frage, ob sie eine Suite mit mehr Platz hätten. Ja, sie hätten eine einzige Suite, und diese sei zufälligerweise gerade frei. Für uns um 20% günstiger. Der nette Herr vom Empfang zeigt uns die grosszügigen Räumlichkeiten mit zwei Balkons und lobt die wunderbare Aussicht auf die Drachenburg, den Drachenfels und den Petersberg, die jetzt in der Dunkelheit beleuchtet sind. Er schätze sich glücklich, einen so schönen Arbeitsplatz zu haben, wo wir jetzt ein paar Tage Urlaub machen dürften. Besonders schön seien die Sonnenaufgänge, ab morgen scheine wieder die Sonne. Wir sagen zu, lassen unser Gepäck in der Suite und eilen ins noch bis 21 Uhr geöffnete Restaurant, wo uns eine leckere Kürbiscremesuppe und ein Glas Bier erwarten.

Foto: Aussicht auf den Rhein vom Petersberg bis zum Drachenfels

und Text: Petra Dobrovolny

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